Rachezug: Thriller (Teil 2 von 2) by Linnemann Michael

Autor:Linnemann, Michael [Linnemann, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-01-09T23:00:00+00:00

19

Um kurz nach elf Uhr fuhren Nora und Tommy aus westlicher Richtung am Städtischen Museum in der Ritterplan-Straße vorbei. In diesem langen Eckgebäude verdeutlichten zahlreiche Exponate sowohl die kulturelle als auch die historische Entwicklung Göttingens. Doch Noras und Thomas’ Gedanken drehten sich momentan keineswegs um die kulturgeschichtliche Erforschung ihrer beider Heimatstadt. Auch das imposante Deutsche Theater, an dem sie kurz darauf vorbeikamen, und in dem 500 Zuschauer ihren Platz fanden, interessierte sie nur äußerst bedingt. Eilig ließen sie das Gebäude links liegen, um eine Minute später in der Bühlstraße am östlichen Rand der Innenstadt anzuhalten. Dort wohnte in einem altmodischen, sechsstöckigen Backsteingebäude Albert Weller, seines Zeichens Gymnasiallehrer und Mordverdächtiger.

Nachdem die Kommissare flink ausgestiegen und in das kühle Haus gehuscht waren, entnahmen sie der Namensliste neben den Briefkästen die Information, dass sich Wellers Wohnung im fünften Stock befand. Da der Fahrstuhl defekt war, mussten sie die Treppe nehmen.

Als sie oben angekommen waren, fanden sie Wellers Wohnung recht schnell; sie lag auf der rechten Seite eines schmalen Flurs, der mit rotem Teppich ausgelegt war.

Kurz nachdem Tommy zweimal angeklingelt hatte, öffnete der Lehrer griesgrämig die Tür. „Wer sind Sie?“, fragte er mit einer tiefen Bassstimme zur Begrüßung, den Blick sofort auf Tommys Narbe gerichtet.

„Kripo Göttingen. Sind Sie Albert Weller?“, entgegnete Nora.

„Ja, wieso?“

„Es geht um die aktuellen Mordfälle.“ Sie zeigte ihm ihren Ausweis. „Sicherlich haben Sie von diesen schon gehört?“

Der 45-Jährige wandte seinen Blick von Thomas’ Narbe ab und betrachtete Noras Ausweis überaus desinteressiert. Dann ließ er die beiden ohne Widerspruch in seine Wohnung eintreten, wobei er betrübt antwortete: „Ja, ich habe von den Morden in der Zeitung gelesen. Schreckliche Geschichte.“

Während Nora an dem Lehrer vorbei schritt, konnte sie nicht begreifen, wie der Mann es bei diesen tropischen Temperaturen in einem schwarzen, zugeknöpften Anzug ertragen konnte. Noch entsetzlicher wog für sie allerdings die Erkenntnis, dass Wellers Deodorant seinen Dienst eingestellt hatte und die gesamte Wohnung nach beißendem, männlichem Schweiß stank.

Während sie und Thomas angewidert die Nasen verzogen, schloss Weller die Tür hinter ihnen und führte sie anschließend in den überschaubaren Wohnraum.

Zwar durchbrach der Lehrer nicht einmal die 180cm-Marke, dafür hatte er aber verhältnismäßig breite Schultern, weshalb er trotz seiner überschaubaren Körpergröße eine recht imposante Erscheinung war. Zudem war er tipptopp in Form und sein gepflegter Dreitagebart sowie die kurzen, blonden Kopfhaare ließen den 45-Jährigen höchstens wie fünfunddreißig wirken.

„Wie kann ich Ihnen bezüglich dieser abscheulichen Mordfälle denn behilflich sein?“, wollte er wissen, bevor er sich mittig in seiner Wohnung postierte.

„Zunächst würden wir gerne von Ihnen hören, wieso Sie sich nicht bei uns gemeldet hatten. Unsere Kollegen hatten Ihnen eine Nachricht hinterlassen“, ließ Tommy verlauten.

„Oh, das tut mir leid. Das muss ich vollkommen vergessen haben. Ich bin momentan nämlich recht durcheinander, weil ich auf das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung warte.“

„Vergessen? Sie hatten vergessen, sich bei der Polizei zu melden, nachdem Sie eine ausdrückliche Aufforderung erhalten hatten?“

„So ist es.“

Thomas sah den Lehrer unverfroren an. „Interessant. Immerhin sagt ein solches Verhalten einiges über einen Menschen aus, nicht wahr?“, schoss er gleich zu Beginn bissig auf den Lehrer ein.

Wieder merkte Nora, dass ihr Kollege seine ausgeglichene Art zunehmend verlor.

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